Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Hoffentlich dringt diese Botschaft zu ihm durch

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
Familientreffen können die Hölle sein. Vor allem, wenn Mitglieder erwartet werden, von denen jeder weiß, dass sie sich danebenbenehmen. Geht es dann auch noch um heikle Themen, ist höchste Vorsicht geboten. So etwas kann schnell in einem Eklat enden.
Auf ein solches Familientreffen schaut heute die Welt. Es findet seit 1975 statt, feiert also in diesem Jahr sein 50. Jubiläum. Doch zum Feiern ist niemandem zumute. Denn der Zusammenhalt ist gefährdet, was am Familienoberhaupt liegt. Das verhält sich systemsprengend ausgerechnet in einer Zeit, da eine geeinte Stimme wichtiger denn je wäre. Denn die Welt ist aus den Fugen geraten.
Embed
Das wird beim G7-Gipfel in Kanada deutlich zu spüren sein. Dort treffen sich seit gestern Abend bis Dienstag die führenden Industrienationen der Welt, die Gruppe der 7 (G7), in einem Luxusresort in den kanadischen Rocky Mountains; neben den USA sind das Deutschland, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan. Ursprünglich drehte sich bei diesen Treffen alles um Wirtschaftsfragen, längst jedoch auch um die großen Krisenthemen der Welt – von Klima über Terrorismus bis zu Kriegen.
Was die G7-Familie neben ihrer Wirtschaftskraft die meiste Zeit verband, waren ihre demokratischen Werte, unter denen – zugegebenermaßen – längst nicht alle immer das Gleiche verstanden. Dennoch war dieses Treffen wichtig, um Strittiges zu besprechen, sich abzustimmen, Einendes herauszuarbeiten. Zwischendurch sah es sogar so aus, als hätte die Familie dauerhaft Zuwachs bekommen: 16 Jahre lang war auch ein entfernter Verwandter Mitglied – Russland. Aus den G7 war seit 1998 die Gruppe der 8 geworden. Doch dann besetzte Russland 2014 die ukrainische Krim und die anderen schlossen es daraufhin aus ihrem Kreis aus. Wenn es sich wieder an die Regeln hielte, könne es zurückkehren, teilten sie Russland mit. Nun, das ist bekanntlich nicht eingetreten.
Seit diesem Jahr sitzt wieder ein Regelbrecher in den eigenen Reihen: Ausgerechnet die USA, das wichtigste Mitglied, stellen die gemeinsamen Bande infrage. Präsident Donald Trump hält nicht viel von multilateralen Vereinbarungen, offenbar auch nicht viel von Demokratie und alldem, was die G7 bislang zusammenhielt. Im Gegenteil. Einige Krisenthemen wie die aktuellen Turbulenzen in der Weltwirtschaft hat er selbst mit seinem Zollchaos verursacht. In Kanada wird sich also auch zeigen, ob diese Familie als G7 überhaupt noch eine Zukunft hat – oder ob sie vielleicht immer mehr zu einer G6 wird, also einer Mittelmacht in einer multipolaren Welt von Großmächten wie China, Russland und den USA. Werte und Regeln würden in so einer Welt wohl keinerlei Rolle mehr spielen.
Noch versuchen die G6 alles, um den wichtigsten Player in ihren Reihen zu halten. In Kanada geht es daher vor allem darum, Trump keinen Grund für einen Eklat zu liefern, wie er ihn in seiner ersten Präsidentschaft im Anschluss an das G7-Treffen 2018 produzierte. In einem Tweet kündigte er damals an, seine Unterschrift unter dem in mühsamen Verhandlungen erarbeiteten Abschlussdokument zurückzuziehen. Um so etwas dieses Mal zu verhindern, verzichtet man kurzerhand auf ein Abschlussdokument, wie mein Kollege Johannes Bebermeier schreibt. Er begleitet den Bundeskanzler nach Kanada und wird von dort berichten.
Doch auch so ist größtes Fingerspitzengefühl gefragt. Trump hat sich in seiner zweiten Präsidentschaft radikalisiert – innen- wie außenpolitisch. Dieser Präsident liebt die Demonstration der Stärke, für ihn zählt nur das Recht des Stärkeren. Das hat er in der vergangenen Woche in Los Angeles bewiesen, wohin er gegen den Willen des kalifornischen Gouverneurs und deshalb unrechtmäßig Nationalgardisten und Marines schickte, um gegen Protestierende vorzugehen. Das demonstrierte er aber auch symbolträchtig an diesem Wochenende, als er anlässlich des 250-jährigen Bestehens der US-Armee – und wohl auch seines 79. Geburtstags – eine Militärparade durch Washington rollen ließ. Im ganzen Land fanden parallel "No kings"-Proteste gegen den Möchtegern-König Trump statt, von denen unser US-Korrespondent Bastian Brauns hier berichtete.
Auch außenpolitisch ist die Ausgangslage für das Treffen in Kanada mit dem Angriff Israels auf den Iran noch brisanter geworden. Der Angriff galt vordergründig dem Atomwaffenprogramm des Iran, das kurz davor stehen soll, Nuklearwaffen produzieren zu können. Doch ob dies ausreicht, um die Anlagen präventiv zerstören und das Land angreifen zu dürfen, ist völkerrechtlich hochumstritten. Zudem deutet einiges darauf hin, dass Israel auch einen Sturz des iranischen Mullah-Regimes anstrebt, was erst recht ein Bruch des Völkerrechts wäre. Nicht, dass man diesem Regime auch nur eine Träne nachweinen müsste. Aber was sind internationale Regeln wert, wenn sie nicht für alle gleich gelten? Auch Deutschland bringt das in eine Zwickmühle, dessen Außenminister Johann Wadephul am Wochenende im Nahen Osten unterwegs war und von dem israelischen Angriff überrascht wurde, wie mein Kollege Patrick Diekmann berichtet.
Unklar ist, wie Trump sich in diesem Konflikt verhalten wird. Eigentlich kann er kein Interesse daran haben, dass die USA in ihn hineingezogen werden. Öffentlich demonstrierte er dennoch seine Sympathie für den israelischen Angriff und drohte Teheran zugleich mit der Macht des US-Militärs "in einem noch nie dagewesenen Ausmaß", sollte es in der Region stationierte US-Soldaten angreifen.
Schon ohne den Krieg zwischen Israel und dem Iran gibt es genug Heikles auf der G7-Agenda: Trumps Zollkrieg, der mit der EU weiter zu eskalieren droht, wenn bis zum 9. Juli keine Einigung erzielt wird. Der Ukraine-Krieg, bei dem die G6 Trump zu einem härteren Vorgehen gegen Putin bewegen wollen. Und nicht zuletzt der Gaza-Krieg, wo man ebenfalls hofft, Trump zu mehr Druck auf Israels Premier Benjamin Netanjahu bewegen zu können, damit dieser ihn endlich beendet oder zumindest seiner humanitären Verantwortung für die Zivilisten im Gazastreifen gerecht wird. Mindestens genauso heikel sind Themen wie Klimaschutz und Entwicklungshilfe, beides hält Trump bekanntlich für überflüssig.
Weil es bei all diesen Themen um so viel geht, haben die Staatschefs im Vorfeld die Erwartungen heruntergeschraubt. Lediglich einzelne Erklärungen zu Themen wie Migration, kritische Rohstoffe, Künstliche Intelligenz, Waldbrände, Technologie und ausländische Einflussnahme sind geplant. Alles, was sich mit möglichst unkonkreten Umschreibungen schönreden lässt. Kein Familientreffen also, bei dem Tacheles gesprochen wird, sondern über das möglichst viel Harmoniesoße gegossen werden soll. Das alles schon mit Blick auf ein noch wichtigeres Treffen in zehn Tagen: den Nato-Gipfel in den Niederlanden. Denn noch größer als die Angst, dass sich die USA aus dem Kreis der G7 verabschieden, ist die vor einem Rückzug aus dem Verteidigungsbündnis.
Familie kann man sich nicht aussuchen, heißt es. In Falle der G7 bedeutet das eher, man kann nicht so einfach mit ihr brechen. Zu groß ist die Macht des Patriarchen, zu groß sind die Abhängigkeiten. Allerdings ist Angst kein guter Ratgeber. Denn auch Trump ist allein weniger stark als mit Verbündeten. Umso wichtiger ist es daher, ihm bei diesen Treffen zu zeigen, dass ein Bruch gegen seine eigenen Interessen verstoßen würde. Auch das scheint eine Strategie der G6 in Kanada zu sein. Hoffentlich dringen sie mit dieser Botschaft zu Trump durch.
Ohrenschmaus
Apropos Harmoniesoße – dazu fällt mir spontan dieser Song von Tears for Fears ein: Er fordert das Gegenteil.
Der Druck auf ihn wächst
170 Seiten umfasst der Bericht einer Sonderermittlerin, der Jens Spahn nun schon seit mehr als einer Woche zusetzt. Darin untersuchte sie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums die chaotische und teure Maskenbeschaffung in der Corona-Pandemie. Seit Januar liegt der Bericht vor. Veröffentlicht wurde er bislang jedoch nicht. Allerdings werden nach und nach Details daraus bekannt. So auch an diesem Wochenende wieder. Diese Details lassen Jens Spahn, damals Gesundheitsminister und heute Unionsfraktionschef, nicht gut aussehen. "Fehlendes ökonomisches Verständnis" und "politischer Ehrgeiz" werde ihm darin vorgeworfen, aber auch eine "chaotische Aktenführung", berichteten "Süddeutsche Zeitung", NDR und WDR.
Angriff ist die beste Verteidigung, denkt sich Spahn offensichtlich. Und so attackierte er nun seinerseits im ARD-"Bericht aus Berlin" am Sonntagabend die Sonderermittlerin Margaretha Sudhof. Es handele sich um "subjektive Wertungen" einer einzelnen Person, sagte Spahn dort. Die Union war ihm zuvor schon beigesprungen und hatte von "parteipolitischen Motiven" gesprochen. Die politische Beamtin Sudhof ist SPD-Mitglied und wurde von Spahns Nachfolger Karl Lauterbach, ebenfalls SPD, eingesetzt. Doch obwohl der Bericht schon im Januar fertig war, hatte Lauterbach ihn nicht veröffentlicht – damals herrschte Wahlkampf. Seine Nachfolgerin Nina Warken (CDU) will das aber auch nicht tun. Dabei fordert das nun sogar Jens Spahn. Es wäre für alle Beteiligten wohl das Beste.
Termine
Zum zweiten Mal könnte in Frankfurt am Main ein Urteil nach dem Weltrechtsprinzip fallen. Weltrechtsprinzip – nie davon gehört? Dabei handelt es sich um einen Paragrafen des Völkerstrafgesetzbuches, der die weltweite Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen erlaubt, die im Ausland begangen wurden und keinen Bezug zum Inland haben. 2022 verurteilte das Oberlandesgericht Koblenz danach bereits einen Syrer wegen Staatsfolter. In einem ähnlichen Verfahren stand nun fast drei Jahre lang ein syrischer Arzt vor Gericht. Er soll 2011 und 2012 im Gefängnis des Militärgeheimdienstes Gefangene, die gegen das Assad-Regime aufbegehrt hatten, gefoltert haben. Zwei Menschen sollen dabei gestorben sein.
Auch hier geht es ums Völkerrecht: In Genf kommt der UN-Menschenrechtsrat zu seiner Sommersitzung zusammen. Die USA unter der Regierung von Präsident Donald Trump und Israel boykottieren das Prozedere mit dem Vorwurf, der Rat sei gegen Israel voreingenommen.
Der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu steht erneut vor Gericht. In dem Verfahren wird dem wichtigsten Konkurrenten des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan Beleidigung eines Staatsanwalts vorgeworfen. Ihm drohen eine Haftstrafe sowie Politikverbot. Es ist der zweite Prozesstag in diesem Verfahren, gegen İmamoğlu laufen eine Reihe weiterer. Der CHP-Politiker war im März wegen Korruptions- und Terrorismusvorwürfen verhaftet und als Bürgermeister von Istanbul abgesetzt worden. Der eigentliche Hauptprozess dazu steht noch aus.
Das historische Bild
1993 brauchte das Weltraumteleskop Hubble Hilfe. Mehr lesen Sie hier
Lesetipps
Kriege gegen alle Feinde gleichzeitig: Israel scheint dem Iran militärisch und strategisch überlegen zu sein, kämpft nun aber an vier Fronten zugleich. Ob das gut gehen kann, fragt sich unser Kolumnist Gerhard Spörl.
Konsumkrise, Anleihenpanik und Trumps Steuerspiele: Was passiert, wenn die größte Volkswirtschaft der Welt die Kontrolle über ihre Finanzen verliert? Das hat mein Kollege Leon Bensch hier analysiert.
Hitzeblase aus der Sahara bringt extreme Temperaturen: Kaum ist die erste Hitzewelle überstanden, droht bereits die nächste – und das mit noch höheren Temperaturen, schreibt Panorama-Chefin Ellen Ivits.
Es wird ernst: Der FC Bayern startet in die Klub-WM in den USA. Im Rampenlicht steht dabei vor allem Trainer Vincent Kompany, für den es um viel mehr als nur den Titel geht, kommentiert Sportchef Andreas Becker.
Zu guter Letzt
Wenn er sich doch nur so einfach zufriedengäbe …
Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Start in die Woche – ohne Familienzwist und Harmoniesoße. Morgen schreibt Ihnen Florian Harms.
Herzlich
Ihre Heike Vowinkel
Textchefin t-online
X: @HVowinkel
Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.
Gefällt Ihnen der Tagesanbruch? Dann leiten Sie diesen Newsletter an Ihre Freunde weiter.
Haben Sie diesen Newsletter von einem Freund erhalten? Hier können Sie ihn kostenlos abonnieren.
Mit Material von dpa.
Alle Tagesanbruch-Ausgaben finden Sie hier.
Alle Nachrichten lesen Sie hier.